Die kleinen Dinge im Leben

6 Wochen sind vergangen seit meiner Ankunft in Punta Arenas – so langsam kann ich sagen, ich habe mich gut eingelebt. Doch auch wenn ich jetzt einen Alltag habe, heißt das nicht, dass mich nicht immer noch viele kleine Dinge in diesem Alltag überraschen.

Morgens stehe ich bei Zeiten auf, esse gemütlich Toast oder Cornflakes zum Frühstück, um mich dann beim Anziehen der zahlreichen Kleidungsschichten abhetzen zu müssen. Schließlich wartet der Bus zu meiner Arbeit im Centro de Rehabilitación auch in Chile nicht auf mich.

Transport

Busfahren ist hier übrigens ein kleines Abenteuer für sich. Man zahlt die umgerechnet circa 40 Cent pro Fahrt direkt beim Busfahrer vorne. Dieser wartet jedoch nicht, bis man sicher steht, sondern fährt los, sobald man keinen Fuß mehr zwischen den Türen hat. Hat man es dann trotz des holprigen Weges geschafft, seine Fahrt zu bezahlen, kann man sich hinsetzen und die Fahrt genießen – holprig bleibt sie zwar, aber das ist im Sitzen kein großes Problem mehr. Man wartet einfach und beobachtet, wie Leute einsteigen und wie Leute aussteigen unabhängig von den gekennzeichneten paradas. Der Bus sammelt die Leute einfach ein, egal ob sie an einer Haltstelle stehen oder nicht.

paradas gibt es übrigens nicht nur für Busse, sondern auch für die in Chile weit verbreiteten colectivos. Wenn mein Abhetzen morgens umsonst war und ich den Bus verpasst habe, was auch den nicht immer regelmäßigen Abfahrtszeiten geschuldet ist, springe ich einfach schnell in ein colectivo und zahle für die wesentlich schnellere Fahrt umgerechnet circa 65 Cent – ist also eine gute Alternative zum Bus. Man muss nur aufpassen, dass man ins richtige colectivo steigt, da es davon einige gibt in Punta Arenas. Die Buslinien hingegen gehen von número 1 bis número 8 und sind damit eigentlich recht überschaubar. Ich persönlich hab es aber auch schon einmal geschafft, in den falschen Bus zu steigen und bin am anderen Ende der Stadt gelandet – so kommt man viel rum.

Laufen lohnt sich

Und wenn alles nichts mehr hilft, kann ich auch zur Arbeit laufen. Das dauert dann allerdings fast 1 Stunde. Sportlich wie ich bin, bin ich trotzdem schon 2 Mal seit meiner Ankunft hier den kompletten Weg heim gelaufen. Dabei habe ich immer wieder diese kleinen, überraschenden Dinge entdeckt, von denen ich geredet habe – so beispielsweise einen kleinen Bach mitten in der Stadt, Straßenkünstler auf der Straße vor an roten Ampeln haltenden Autos und frei herumlaufende Pferde mitten auf den Straßen. So etwas sieht man nicht alle Tage. Nach einem anstregenden Arbeitstag die gesamten 3 Kilometer heimzulaufen, ist aber trotzdem nicht die beste Idee.

Arbeitsalltag

Zum Glück habe ich nicht nur anstrengende Arbeitstage, sondern auch mal entspannte Tage – je nachdem, welches Programm ansteht und wie motiviert meine Arbeitskollegen sind.

Prinzipiell arbeite ich von morgens ab 8:30 bis zur Mittagspause um 13:30 im Taller Laboral. In diesem Teil des Centros werden die Jugendlichen mit geistigen Behinderungen betreut und gefördert beim Erlernen von nützlichen Fähigkeiten. So helfe ich beispielsweise profe Darío in der Küche, profe Benja in der Holzwerkstatt, tía Paty und tía Lorena im Haushaltsraum oder tía Valeska und tía Maritza beim Reiki. Meine Arbeitskollegen sind echt cool – während der Arbeitszeiten haben sie ein großes Verständnis für mich, während der Pausen lachen wir viel und auf vom Centro veranstalteten fiestas kann man gut mit ihnen feiern.

Nach der Mittagspause arbeite ich dann von 14:30 bis 17:15 in der escuela und helfe tía Pati beim Unterrichten 5-jähriger Kinder mit Sprachproblemen. Die Kinder sind sehr aufgeweckt und ich habe sie, wie auch die Jugendlichen aus dem Taller Laboral, schon lieb gewonnen.

Centro de Rehabilitación

Meine Arbeit im Centro ist zwar anfangs etwas gewöhnungsbedürftig gewesen, da ich nie zuvor mit geistig Behinderten zutun hatte. Allerdings hab ich mich inzwischen ganz gut da rein gefunden und habe auch Spaß an meiner Arbeit – so sollte es sein. Und neben den langen Arbeitstagen von Montag bis Donnerstag und meinem kurzen Arbeitstag freitags finden auch viele fiestas statt. Sowohl mit den Kindern im Centro als auch auf Mitarbeiterfesten außerhalb des Centros wird viel gefeiert. Sei es anlässlich der Fiestas Patrias oder anlässlich des 30-jährigen Jubiläums der Einrichtung – im Centro de Rehabilitación ist immer was los.

Freizeit-Aktivitäten

Damit ist das Centro nicht allein. In meiner Freizeit war bisher auch immer viel los – sei der Besuch eines Kulturabends an der Schule meines Gast-Bruders, seien es Kinobesuche mit meinem Gast-Papa in einem Kino, in dem es keine Nachos gibt oder seien es Einkaufstouren mit meiner Gast-Mama in Supermärkten, in denen man deutsches Schöfferhofer kaufen kann.

Trink, trink, trink

Wo wir schon bei Alkohol sind – nach den vergangenen 6 Wochen kann ich bereits stolz behaupten, mich durch die typisch chilenischen Spirituosen durchprobiert zu haben und ich bin begeistert.

Chilenisches Bier? Schmeckt. Dabei ist es egal, ob ich „normales Bier“ trinke oder mit Zitrone, Salz und dem von den chilenischen Ureinwohnern Mapuche stammenden, chili-ähnlichen Gewürz namens merquén zubereitetes Bier – ein michelada – trinke, es ist lecker.

Chilenischer Wein? Schmeckt. Dabei ist es egal, ob ich „normalen Wein“ oder den besonderen Wein pipeño mit Ananas-Eis zubereitet und kräftig geschüttelt – terremoto – trinke, es ist lecker.

Chilenische Cocktails? Schmecken. Dabei ist es egal, ob ich die chilenischen Nationalgetränke Mango Sour, Pisco Sour oder eine Piscola trinke, sie sind lecker und auf jeder guten fiesta zu finden.

Kampf mit den Kilos

Natürlich gehe ich hier in meiner Freizeit aber nicht nur auf fiestas, sondern treibe auch ein bisschen Sport – die 4 Kilos, die ich letzten Monat zugenommen habe, sollen sich schließlich nicht vervielfältigen. Deshalb nehme ich montags in einem Fitnesstudio um die Ecke an einem kostenlosen Pilates-Kurs teil, dienstags und donnerstags gehe ich mit meinen Gasteltern Salsa tanzen und mittwochs besuche ich einen weiteren kostenlosen Tanzkurs im Fitnessstuio namens „Baile Entretenido„. Das ist ein stimmungsvoller Tanz mit stimmungsvoller Musik und bietet mir damit den perfekten Ausgleich zur Arbeit.

Nach getaner Arbeit

Wenn das Wetter mitspielt und nicht gerade ein 87-Stundenkilometer schneller Wind durch die Stadt fegt, gehe ich nach der Arbeit oder den Fitnessstudio-Kursen auch gern noch ein Ründchen an der Estrecho de Magallanes direkt vor meiner Haustür spazieren. An dieser Stelle vereinen sich Pazifik und Atlantik und auf ihrer anderen Seite, gegenüber von Punta Arenas, kann man Feuerland sehen – atemberaubend. Wer an der Magellanstraße bei blauem Himmel und klarer Sicht entlang läuft und den Wellen dabei zusieht, wie sie rhythmisch vor der Kulisse von hohen, schneebedeckten Bergen am Ufer anschlagen, der kriegt nicht nur den Kopf frei, sondern wird sich auch darüber bewusst, wie schön und weit unsere Welt ist. Sagen zufolge soll das hier nämlich nicht das Ende der Welt sein, sondern erst ihr Anfang.