Mal ganz anders

Es hat mehr als 2 Monate gebraucht, den Wunsch in mir zu wecken, über meine Gefühlswelt hier in Chile zu schreiben. Jetzt ist es soweit.

Neues Leben

Sein gewohntes Umfeld zu verlassen, um ans andere Ende der Welt zu ziehen, geht natürlich nicht spurlos an einem vorbei, auch an mir nicht. Anfangs konnte ich das gar nicht wirklich realisieren. Ich bin einfach ins Flugzeug gestiegen. Mein Verstand wusste, was ich da gerade mache, aber ich konnte es nicht wirklich fühlen. Das kam erst viel später.

Die ersten Wochen in Chile habe ich nämlich erstmal schlichtweg einfach nur genossen. Es ist so toll, ein Land nach und nach zu entdecken – und es hält einen auch gut auf Trab. Ich kam gar nicht so recht dazu, über meine Situation nachzudenken. Ich konnte nicht fassen, was es bedeutet, sein Zuhause und die Menschen, die man liebt, ein ganzes Jahr lang kein einziges Mal live und in Farbe zu sehen geschweige denn ihre Nähe spüren zu können. Man führt von einem Tag auf den nächsten plötzlich ein ganz anderes Leben als seine Liebsten und es bleibt einem nur die Möglichkeit, sie über soziale Netzwerke oder auf altmodische Art in Form von Postkarten und Briefen um die ganze Welt an diesem Leben teilhaben zu lassen.

Es ist natürlich manchmal unglaublich schwer, wenn man sich nach einer Umarmung seiner Mama oder einem langen Gespräch mit seiner besten Freundin sehnt und das einfach nicht möglich ist. Auf der anderen Seite zeigt es einem aber auch, wie stark man alleine ist. Wobei ich mich hier in Punta Arenas zu keiner Zeit wirklich allein gefühlt habe.

Die wertvollen Dinge

Mein Umfeld hier hat wahrscheinlich einen großen Teil dazu beigetragen, dass ich bisher noch nicht mit dem ganz großen, schlimmen Heimweh zu kämpfen hatte. Klar, ein bisschen Heimweh ist immer da. Es gibt Momente, in denen würde ich alles geben für einen Herbstspaziergang durch meine Heimatstadt, einen Ritt auf meinem Lieblingspferd, einen sonnigen Tag am See mit meinen Freunden, eine Autofahrt durch´s Ried mit meiner Schwester, einen gemütlichen Tatort-Abend mit meinen Eltern oder einen Ausflug über den Rhein mit meinen Großeltern. Das sind unbezahlbare Momente, auf die ich zum Glück nicht für immer verzichten muss. Ich komme ja in jetzt weniger als 10 Monaten zurück und die Menschen, die ich liebe, werden dann auch noch da sein.

Bis dahin, lasse ich mich auf mein Umfeld hier ein. Da erlebe ich nämlich auch einige dieser unbezahlbaren Momente und ich kann mich wirklich sehr glücklich schätzen. Ich habe Arbeitskollegen, die sich um mein Wohl sorgen, eine Gastfamilie, die mir alles schenkt, was ich brauche – einen Platz in ihrem Haus, Freiheiten und vieeel zum Lachen – und inzwischen habe ich auch Anschluss bei Gleichaltrigen gefunden. Da bleibt dann auch nicht allzu viel Zeit, um über Heimweh nachzudenken.

Was passiert?

Nichtsdestotrotz hatte ich ein bisschen Zeit, um über mich selbst nachzudenken. Es läuft natürlich auch nicht alles perfekt und in den schwierigeren Momenten reagiert man selbst genauso wenig immer perfekt. Aber man lernt und das ist ziemlich wertvoll. Was so ein Auslandsjahr mit einem macht, wird einem in voller Gänze glaube ich erst lange nach seiner Rückkehr ins Heimatland klar. Ein bisschen davon nehme ich aber auch jetzt schon wahr.

Grenzen können manchmal weiter entfernt liegen, als man denkt und auch nach 18 Jahren auf der Welt kann man noch neue Seiten an sich entdecken.